Armut als systemischer Gewaltverstärker – Betroffenenperspektive auf Prävention

„Das Ende von Gewalt bedeutet für Viele, massive Einbußen in Lebensstandard und Lebensqualität hinnehmen zu müssen.
Und je größer diese Einbußen sind, desto größer ist die Hürde sich zu trennen.
Desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand zurück in die alte oder in eine neue Gewaltbeziehung begibt, um der Armut zu entkommen.“Bremer Betroffenenbeirat, 4. Juni 2025
Der Bremer Betroffenenbeirat brachte zur Veröffentlichung der „Bedarfsanalyse zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt“ vom Juni 2025 die Perspektive Betroffener auf das Thema Prävention ein: In Berlin trug ein Mitglied des Beirats vor, warum es wichtig ist, Armut und geschlechtsspezifische Gewalt präventiv zusammen zu denken.
Das Forschungsinstitut bezieht über eine von sieben Fokusgruppen die Sicht Betroffener in die Bedarfsanalyse mit ein. Die Studie fasst zusammen, dass „Gewaltbetroffenheit oft mit sozialer Isolation, finanzieller Abhängigkeit und institutionellen Barrieren korreliert. Betroffene forderten die Beseitigung struktureller Risikofaktoren durch Gleichstellungspolitik, Sozialreformen und Armutsbekämpfung. Sie erhofften sich Sichtbarkeit und Beteiligung in der Konzeptentwickelung von Präventionsstrategien.“ Folgerichtig benennt die Analyse als eines der relevanten Handlungsfelder Armut und strukturelle Exklusion, die als systemische Gewaltverstärker wirkten. Armut sollte „in Präventionslogiken nicht als individuelles Risiko, sondern als strukturelle Bedingung gedacht werden.“
Der Beirat betonte, dass fehlende Gleichstellung aus ökonomischen Gründen eine große Hürde für Gewaltbetroffene Frauen darstellt, sich zu trennen. Zu wahrscheinlich müssen sie riskieren, dass sie nach einer Trennung vom Täter in Wohnungsnotlagen geraten und ihre Kinder in Armut großziehen müssen.
„Deswegen lassen sich Armutsbekämpfung und Gewaltprävention nicht von einander trennen.
Weil Geld ein Machtinstrument ist.
Weil Gesetze wie das Ehegattensplitting oder die Bürokratische Verwobenheit in Bedarfsgemeinschaften es Tätern sehr einfach machen, Kontrolle über jemanden auszuüben und ich kann nicht oft genug betonen, wie sehr sich jahrelange Armutsbelastung und das Damoklesschwert von Sanktionen und Ablehnungsbescheiden wie diese Gewalt anfühlen.“Bremer Betroffenenbeirat, 4. Juni 2025
Diese Strukturen kritisierte der Beirat – sie würden in der Konzeption von Präventionsansätzen zu selbstverständlich außer Acht gelassen. Stattdessen konzentrierten sich Politikansätze auf andere Handlungsfelder. Eine Nachlässigkeit mit weitreichenden Konsequenzen für die Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt, die nicht das Glück hätten, durch Eingehen einer neuen stabilen Partnerschaft mit sicherem Einkommen für sich (und häufig auch für Kinder) sorgen zu können.
Zur Bekämpfung von Gewalt ist eine umfassendere und besser finanziell hinterlegte präventive Anstrengung nötig. Insbesondere Bewusstseinsbildung, sensible und sprachlich angemessene Ansprache und Unterstützung von Betroffenen sowie die Begleitung in Verantwortungsübernahme und gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien über Täterarbeit betonen die in der Bedarfsanalyse zitierten fachlichen Einschätzungen. Im Sinne bedarfsorientierter Prävention müssen Armutsfolgen und ihre strukturellen Ursachen ein Ansatzpunkt sein – so die Forderung des Betroffenenbeirats:
„Jede Verschärfung der Sozialhilfegesetze nimmt inkauf, dass Betroffene sich zwischen zwei miserablen Optionen – also Armut oder Gewalt – entscheiden müssen. Dieser Umstand wird zu selten auch in Gewaltschutz- und -präventionsmaßnahmen überhaupt als ein strukturelles Problem anerkannt. […]
Bedarfsorientierte, echte Prävention muss diese Aspekte ernst nehmen und Armutsfolgen in der Gewaltschutzstrategie der Bundesregierung berücksichtigen.“
Bremer Betroffenenbeirat, 4. Juni 2025
Der Bremer Betroffenenbeirat ist eines der wenigen Gremien, das auf Landesebene als feste Instanz zu Lösungsansätzen und -strategien Stellung nimmt aus Betroffenenperspektive. Dass diese Stellungnahmen auch berücksichtigt werden, ist nun Aufgabe der Politik.
„Ein Teil unserer Arbeit umfasst Stellungnahmen zum politischen Geschehen, aber der, meiner Ansicht nach wichtigere, Aspekt ist, begreifbar zu machen, was das Leben nach Gewalt in Deutschland für die meisten Menschen bedeutet.“ war das Motiv hinter dem Redebeitrag. Der auf der Fachveranstaltung von eine:r Vertreter:in des Beirats vorgetragene Text schildert daher eindringlich die Situation, die Gewaltbetroffene mit allen Anstrengungen verhindern wollen – und in aller Regel nicht die nötige Unterstützung erhalten. Das Dokument notiert die herangezogenen Daten zu Armut und Gewalt in Deutschland.
Die Rede des B*BIK zur Veröffentlichung der Bedarfsstudie zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellen wir hier als Download zur Verfügung:
Prävention – eine Betroffenenperspektive. Die Würde des Menschen ist (un)antastbar