Bremen setzt um
1. Die Bürgerschaft (Landtag) stellt fest:
a) Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine Menschenrechtsverletzung. Mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 ist auch Bremen verpflichtet, umfassende Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt zu ergreifen und eine bedarfsgerechte Frauenhilfeinfrastruktur zu gewährleisten.
b) Mit einem Landesaktionsplan würde Bremen über eine umfassende Gesamtstrategie verfügen. Dies bildet die Grundlage für die fortwährende Weiterentwicklung der Frauenhilfeinfrastruktur, insbesondere im Hinblick auf bestehende Versorgungsprobleme.
2. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
a) einen Landesaktionsplan im Sinne einer konsequenten Umsetzung der Istanbul-Konvention zu entwickeln und umzusetzen;
b) zu prüfen, ob, inwieweit und in welcher Form eine unabhängige Koordinierungs- und Monitoringstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bremen eingerichtet werden sollte;
c) Maßnahmen zu ergreifen, die insbesondere die barrierefreie Zugänglichkeit der Frauenhilfeinfrastruktur und Informationen zu Gewaltschutz und Gewaltprävention sowie den Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe gewährleisten;
d) zu prüfen, ob und inwieweit eine vertrauliche rechtsmedizinische Spurensicherung für Opfer von häuslicher und Beziehungsgewalt ermöglicht werden könnte und gegebenenfalls ein entsprechendes inhaltliches und finanzielles Konzept zu erarbeiten;
e) der Bürgerschaft (Landtag) regelmäßig über den Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bremen zu berichten.
Aufgaben der Länder und Kommunen
Darüber hinaus fallen Bildungsthemen (geschlechtsbezogene Gewalt und Gleichstellung), Fortbildungen für Beamt*innen und Angestellte, Strafverfolgung, Angebote für Täter*innen, Unterstützung von Opfern von geschlechtsbezogener Gewalt in Gerichtsverfahren, anonyme Spurensicherung, Bewerbung von Hilfsangeboten in die Zuständigkeit von Ländern ggf. auch Kommunen.
Umsetzung im Land Bremen
Auf der Grundlage der Vorgaben der IK, des Bürgerschaftsbeschlusses zur Umsetzung, des Koalitionsvertrages sowie der bisher geleisteten Arbeit nehmen Ende 2020 themenbezogene Arbeitsgruppen ihre Arbeit zur Erstellung eines Aktionsplans auf. Die Gesamtsteuerung verantworten die Stabsstelle Frauenpolitik der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz in Zusammenarbeit mit der "Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau" (ZGF). Dazu wurde eine geschaffene Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Land Bremen geschaffen.
Die Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) hat darüber hinaus als Landesbehörde den gesetzlichen Auftrag, im Lande Bremen darüber zu wachen und darauf hinzuwirken, dass das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichberechtigung der Frau erfüllt wird. Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt ist ein Schwerpunkt der Arbeit.
Diese Arbeitsgruppen arbeiten an der Umsetzung im Land Bremen:
Ein Runder Tisch mit ausgewählten Institutionen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft wird in der Mitte des Prozesses und am Ende die Ergebnisse und Vorschläge der AGs bewerten.
Häusliche Gewalt“ zielt auf Macht und Kontrolle und erzeugt eine komplexe Bedrohung und demütigende Gesamtsituation für die betroffenen Frauen. Permanentes Bedrohungsgefühl, Isolation und Kontrollverlust sind Folgen vor allem langanhaltender körperlicher, sexueller psychischer Gewalt. Gewalt dort zu erleben, wo Vertrauen nötig ist und erwartet wird, Menschen sich sehr nahe sind, ist extrem belastend. Die Notwendigkeit der Veröffentlichung privater Dinge erschweren Hilfe zu suchen. Bedrohungen hören auch nach einer Trennung oft nicht auf. Maßnahmen erfordern deshalb eine hohe Sensibilität und Achtsamkeit. Häusliche Gewalt ist Kernthema der Istanbul-Konvention des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (IK).
Repräsentative Studien des Bundes und der EU zeigen: etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Nach Zahlen des Bundeskriminalamtes (2018) waren mehr als 80% der erfassten Opfer von Partnerschaftsgewalt weiblich. In Bremen bildet sich die Relevanz des Themas in den Fällen der Polizei und der Gerichte, in ausgelasteten Beratungsstellen sowie in vollen Frauenhäusern ab. Das Thema ist rechtlich im Sinne der IK geregelt. Es wird fachlich und strukturell umfassend bearbeitet, bei den Trägern von Angeboten, auf Bundes- und Länderebene, in der Forschung. Im Land Bremen gibt es ein breit aufgestelltes Hilfesystem. Allerdings beziehen sie sich nicht hinreichend aufeinander: viele Akteure sind noch kein System. Offene Aufgaben bestehen zudem in der konkreten Praxis der Umsetzung.
Stalking bzw. Nachstellung hat viele Formen, Stalking bildet sich als ein absichtliches und systematisches, wiederholtes und oft länger andauerndes Attackieren zumeist aus unterschiedlichen Belästigungen, Übergriffen und Gewalttaten aus. Dazu gehören das Auflauern vor der Wohnung oder auf der Arbeit, ständiges Verfolgen und überraschende Nachstellungen, permanente Anrufe, SMS und „CyberStalking“, digitale Gewalt. Das Internet, digitale Medien, digitale Überwachungstechniken werden zu Stalking-Handlungen genutzt. Stalking ist oft nicht auf Formen der Nachstellung beschränkt, Stalker fügen ihren Opfern auch körperliche und sexualisierte Gewalt zu. Stalking kann Monate bis hin zu mehreren Jahren dauern. Betroffen sind größtenteils Frauen, über 80% aller Stalking-Opfer sind weiblich. Die Nachstellungen sollen ein grundlegendes Gefühl von Bedrohung erzeugen, die Lebensqualität und den Alltag der betroffenen Frauen einschränken und sie über Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein dominieren. Die meisten Stalker sind ehemalige Beziehungspartner oder Freunde, aber auch Arbeitskollegen, Familienmitglieder oder flüchtige Bekannte. In 75% der Fälle kennen die Betroffenen die stalkende Person.
Stalking ist zu großen Teilen der Häuslichen Gewalt zuzurechnen. Frauen die von häuslicher Gewalt und Stalking betroffen sind müssen mit Spyware auf ihrem Smartphone rechnen. Mit solchen Spy-Apps kann von Gesprächsprotokollen bis zum jeweiligen Standort alles übermitteln werden. Die Umfrage des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland, bff zeigt, dass Spy-Apps die Gewaltdynamiken von Häuslicher Gewalt ergänzen und erweitern und ein Neudenken von Datenschutz und Sicherheitsplanung erfordern. Die Publikation „Gewalt im Internet gegen Frauen und Mädchen“ des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) verweist auf die Kenntnis der schwerwiegenden Folgen von Gewalt in nahen Beziehungen (Häusliche Gewalt). Deren gesundheitliche Folgen fasst der aktuelle Gesundheitsfrauenbericht des RKI zusammen.
Repräsentative Studien zeigen: jede 7. Frau in Deutschland erlebt im Lauf ihres Lebens strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt. 60% aller Frauen haben sexuelle Belästigung erlebt, Frauen mit Behinderung besonders häufig, vielfach in betreuten Einrichtungen. Die Täter sind fast immer männlich. Insbesondere bei sexueller Gewalt gegen Kinder/sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen stammen sie meist aus dem sozialen Umfeld. Die meisten sexuellen Übergriffe finden am Arbeitsplatz oder in der Wohnung statt, ein wichtiges Thema ist sexuelle Gewalt durch aktuelle oder ehemalige Partner (Häusliche Gewalt). Kriminologische Studien gehen davon aus, dass bei sexueller Beziehungsgewalt die Dunkelziffer besonders hoch ist, weil Straftaten nicht angezeigt werden Von den im Jahr 2012 in Bremen eröffneten Strafverfahren wegen Vergewaltigung kamen 13,5 Prozent zur Anklage (IPOS-Studie 2015). Bei einer Auswertung für den Zeitraum Juli 2016 bis April 2017 wurden von 100 Verfahren wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung acht zur Anklage gebracht, die übrigen wurden eingestellt.
Die Istanbul-Konvention (IK) thematisiert über die allgemeinen Vorgaben für alle Gewaltformen hinaus explizit den Schutz vor sexueller Gewalt und deren Strafbarkeit und effektive Verfolgung. Das deutsche Strafrecht stellt alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe und ist damit konventionskonform. Für das Land Bremen geht es um Prävention vor sexueller Gewalt, mögliche Lücken im Hilfesystem, um die Sicherstellung einer geschlechterbezogenen Perspektive, um mehr Wissen zu den Frauen, die sich nicht an die Fachberatungsstellen wenden sowie deren Unterstützung, und um eine systematische Überprüfung der vorgesehenen Verfahren und Hilfestruktur auf Wirksamkeit und Verbesserungsmöglichkeiten.
Digitale Gewalt wie Cybermobbing, heimliche Aufnahmen oder Stalking nimmt zu, sie trifft in sehr vielen Fällen Frauen. Sexistische, frauenfeindliche, beleidigende und bedrohende Kommentare sind für viele Frauen und Mädchen Online-Alltag. In oder nach nahen Beziehungen nutzen Täter die vielfältigen digitalen Möglichkeiten von Gewalt, Kontrolle und Bedrohung. Die Schutzmöglichkeiten sind durch die verheerenden digitalen Möglichkeiten, die Anonymität der Täter begrenzt. Die Anwendung bestehender Gesetze steht noch am Anfang, Strafverfolgung findet so gut wie nicht statt. „Digitale Gewalt“ ist inzwischen eigenständiges Thema innerhalb der politischen wie fachpolitischen Debatte. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland, bff, der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, UBSMK, die „Digitale Initiative D21“ und die Initiativen „Babbel“ und „HateAid“ setzen das Thema Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Geschlechtsbezogene digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist noch nicht gut erforscht, man weiß erst wenig über die tatsächlichen Zahlen und die Folgen für die betroffenen Frauen und Mädchen. Die Erhebung „Gewalt gegen Frauen“ (2014) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) zeigt eine hohe Betroffenheit von digitaler Gewalt. Die Studie ‚Digitales Leben‘ der Initiative D21 zeigt die Qualität der Anfeindungen gegenüber Frauen bei einer insgesamt hohen Zahl der Anfeindungen im Netz: 32 Prozent der Frauen fühlen sich von erlebten Anfeindungen im Netz sehr verletzt, bei Männern sind es neun Prozent. Wenn sich Frauen im Netz öffentlich äußern, erleben sie in deutlich erhöhtem Maß sexualisierte Gewalt und Anfeindungen. In der Folge ziehen sich einige von ihnen zurück und halten sich zurück. Laut HateAid sind doppelt so viele Frauen wie Männer von digitaler Gewalt betroffen. Hierzu zählten unter anderem Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung, Erpressung, Hassrede, Cybermobbing und Cyberstalking. Eine Umfrage, die Babbel Oktober 2020 unter 1000 Frauen durchgeführt hat, zeigt dass über 50 Prozent der 18- bis 29-jährigen Frauen, 30 Prozent der Frauen zwischen 30 und 39 Jahren und 25 Prozent der Frauen im Alter von 40 bis 49 Jahren digitale Gewalterfahrung gemacht haben. Aktuelle Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in großer Zahl unverlangt sexuelle Fotos oder Videos zugeschickt bekommen und diese Form der sexuellen Gewalt mittlerweile als Normalität empfinden. Der Welt-Mädchenbericht „Free to be online - Erfahrungen von Mädchen und jungen Frauen mit digitaler Gewalt“ von Plan International wertet die Befragung von 14.000 Mädchen und junge Frauen in 22 Ländern der Welt zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien aus. Demnach haben 70 Prozent der Mädchen in Deutschland digitale Gewalt oder Übergriffe erlebt.
Frühverheiratung und Zwangsheirat wird vor allem bezogen auf Mädchen und junge Frauen thematisiert. Sie kommen in sehr unterschiedlichen Formen vor, in unterschiedlichen Ethnien mit unterschiedlichen, teilweise auch religiösen Begründungen und unabhängig von sozialem Status. Patriarchalisch traditionell-konservative Familienstrukuren stützen Formen von Gewalt in der Familie. Zwangsverheiratet werden Mädchen und vor allem junge Frauen, auch wenn sie in Deutschland geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sind. Viele von ihnen bewegen sich zwischen unterschiedlichen Kulturen und Wertvorstellungen mit großer Leichtigkeit und können dieses Wissen für sich und andere nutzbar machen, andere geraten in Konflikte, weil Traditionen und Wertvorstellungen der Ursprungsfamilie der eigenen Lebensplanung nicht mehr entsprechen. Selbstbestimmung kann für sie bedeuten, gezwungen zu sein, sich zwischen dem Rückhalt und der Familie auf der einen Seite oder für einen einsamen Weg auf der anderen Seite zu entscheiden. Auch deshalb gibt es kaum Anzeigen bei Zwangsverheiratung.
Die qualitative Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland. Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ hat 830 Beratungsstellen befragt und 100 Falldokumentationen untersucht. 6 von 10 Beratungen bezogen sich auf angedrohte Verheiratung, 4 von 10 Beratungen auf vollzogene Verheiratung. Die bearbeiteten Fälle bezogen sich vor allem auf Frauen und Mädchen, nur 7 von 100 Ratsuchenden waren Männer1. Ein knappes Drittel der Betroffenen waren minderjährig, 40% 18-21 Jahre alt. Etwa ein Drittel ist in Deutschland geboren, 44,8 % hat die deutsche Staatsangehörigkeit oder eine doppelte Staatsbürgerschaft. Viele leben schon recht lange in Deutschland, nur ein Fünftel weniger als 5 Jahre. Ein großer Teil der von Zwangsverheiratung Bedrohten, aber auch 13,3 % der Zwangsverheirateten waren noch in der Schule. Zwangsverheiratung ist eingebettet in Gewalt in der Familie. Zwei von drei Rat-suchenden hatten auch vorher schon Gewalt, vor allem psychische Gewalt, aber auch körperliche in ihren Familien erlebt, 27% Bedrohungen mit Waffen und Morddrohungen, 11 % sexualisierte Gewalt. In über 80% der Fälle geht die Bedrohung vor allem vom Vater aus, in 62% der Fälle auch von der Mutter. Gut die Hälfte der Verheiratungen finden im Ausland statt oder werden dort geplant. Insgesamt geht die Studie von einem großen Dunkelfeld aus. Das internationale Daphne Projekt „Aktiv gegen Zwangsheirat“ (2009) bestätigt eine hohe Gewaltbetroffenheit sowie eine damit verbundene Verweigerung/Verhinderung von Bildung, Arbeit und Berufsausübung und ökonomischer Unabhängigkeit.
Das Thema „Zwangsheirat“ provoziert viele auch rassistische Reflexe. Rassismen treffen nicht nur die Familien, sondern vor allem auch die Rat- und Hilfesuchenden. Ein Umgang mit Zwangsheirat ohne Stigmatisierung und Abwertung der Herkunftsfamilie von Betroffenen ist unabdingbar.
Geschieht Prostitution unfreiwillig, spricht man von Zwangsprostitution. Diese geht oft einher mit Menschenhandel bzw. Frauenhandel, die Gesamtproblematik ist damit aber nicht vollständig erfasst. Der Prostitutionsmarkt bedeutet für die meisten der hier tätigen Frauen besondere Belastungen, frühere wie weitergehende geschlechtsspezifische Gewalt, gesundheitliche Probleme, Armut, schlechte Lebensverhältnisse und wenig Ressourcen zum eigenen Schutz. Bei Zwangsprostitution verschärft sich dies drastisch, dazu kommt ein nicht selten vollständiger Verlust von bestehenden familiären/sozialen Kontexten außerhalb. Sich mit Zwangsprostitution zu befassen heißt, dies anzuerkennen und für besondere Aufmerksamkeit zu sorgen. Von den in Fachberatungsstellen unterstützten Menschenhandelsopfern, die Anzeige erstatten bzw. bei denen es zu Gerichtsverfahren kommt geht es in etwa der Hälfte der Fälle um Zwangsprostitution. Nach Bundeslagebild Menschenhandel 2019 waren die Opfer von Zwangsprostitution fast ausschließlich weiblich, jedes dritte Opfer war unter 21 Jahre, jedes siebte minderjährig. Die Anzeige- und Aussagebereitschaft gilt als sehr gering, weil die Opfer in unterschiedlicher Weise unter Druck gesetzt sind, auch durch massive Drohungen und körperliche/sexualisierte Gewalt. Fachverbände und Bundeskriminalamt gehen von hohen Dunkelziffern aus. Zwangsprostitution gilt als sog. Kontrollkriminalität, proaktive polizeiliche Aktivitäten sind zur Strafverfolgung unerlässlich.
Das Thema Zwangsprostitution wird in der Istanbul-Konvention, im Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (IK) nicht unter diesem Begriff behandelt. Die IK verweist in der Präambel auf die Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels, diese wurde 2012 von Deutschland ratifiziert. Die IK gilt für Frauenhandel als geschlechtsbezogene Gewalt und den sich daraus ergebenen Anforderungen an ineinandergreifende Hilfestrukturen, konkrete Unterstützung, Prävention und Strafverfolgung.
Weltweit sind nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF über 200 Millionen Frauen und Mädchen von FGM betroffen.
Auch in Deutschland sind Mädchen und Frauen dem Risiko ausgesetzt, heimlich in Deutschland oder im Ausland an ihren Genitalien verstümmelt zu werden. Aktuelle Erhebungen ermitteln, dass in Deutschland 67.000 Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen sind. Im Vergleich zu den Daten, die das Bundesfamilienministerium 2017 erhoben hat, ist das ein Anstieg um 40 Prozent.
Die deutliche Steigerung der Zahl der betroffenen und gefährdeten Frauen und Mädchen ist darauf zurückzuführen, dass mehr Menschen aus Herkunftsländern, in denen weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird, nach Deutschland gekommen sind. Die Herkunftsländer der meisten dieser Frauen sind Eritrea, Indonesien, Ägypten und der Irak.
Eine Genitalverstümmlung stellt eine Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit mit schlimmsten körperlichen und seelischen Folgen dar.
Im deutschen Strafrecht erfüllt die weibliche Genitalverstümmelung einen eigenen Tatbestand, der FGM unter Strafe stellt. Das gilt auch bei der Durchführung im Ausland, wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher ist oder die Person, gegen die sich die Tat richtet, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
Der Erläuternde Bericht der Istanbul Konvention benennt die im Sinne der Istanbul-Konvention als besonders schutzbedürftig anzusehende Personengruppen, die auf Grund der besonderen Umstände weniger Möglichkeiten haben, sich zu wehren und eher ins Visier von Gewalttätern geraten. Dazu gehören schwangere Frauen und Mütter von Kleinkindern, Menschen mit Behinderungen, in ländlichen oder abgeschiedenen Gegenden lebende Personen, Konsument*innen toxischer Substanzen, Prostituierte, Angehörige einer ethnischen oder nationalen Minderheit, Migrant*innen sowie Flüchtlinge ohne Papiere beziehungsweise mit mangelnden Sprachkenntnissen, Homosexuelle, Bisexuelle oder Transsexuelle, sowie HIV-po-sitive Personen, Obdachlose, Kinder und alte Menschen. Frauen und Mädchen mit Behinderung, Frauen und ihre Kinder in der Psychiatrie, intergeschlechtliche Kinder und LSBTIQ*Personen, drogenabhängige oder wohnungslose Frauen, Frauen ohne Papiere oder Frauen in der Prostitution - sie alle werden vom Hilfesystem wenig in den Blick genommen und bleiben entsprechend unterversorgt. Teilweise werden das erhebliche Gewalterleben und deren psychisch-emotionale Folgen nicht als solche erkannt oder einer vorliegenden Behinderung oder psychischen Erkrankung zugerechnet. Die Mehrfachdiskriminierung und die besonders schwerwiegenden Folgen der erlebten Gewalt werden nicht wahr- und ernstgenommen. Institutionen und Systeme mit wenig Durchlässigkeit nach „außen“ wie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder für psychisch erkrankte Menschen begünstigen zudem auch die Verhinderung derer Aufdeckung.
Die Studien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ decken eine dramatisch hohe Gewaltbetroffenheit bei Frauen mit Behinderung wie gehörlosen Frauen auf. Nach der repräsentativen Studie des BMFSFJ aus 2004 erleiden Frauen in der Prostitution häufiger Gewalt im Privat- und Arbeitsleben, sie erfahren auch bedrohlichere Gewaltformen. 68 % der Befragten berichten von Gewalt mit Lebensbedrohung, über die Hälfte von Vergewaltigung. Nach Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA 2014) erleben viele Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen Diskriminierung oder Gewalt, wenn sie ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität offen leben. Die hohe Gewaltbetroffenheit drogenabhängiger Frauen sowie von psychisch kranken Frauen ist ebenfalls gut belegt. Gewalt ist ein Auslöser für Wohnungslosigkeit, wohnungslose Frauen sind von Gewalt besonders bedroht, weil sie oft prekäre Wohnverhältnisse eingehen. Der Bericht "Peking +20 - Umsetzung der Aktionsplattform von Peking -Bundesrepublik Deutschland“
Geschlechtsbezogene Gewalt ist nicht abhängig von der Herkunft. Allerdings sind Migrantinnen verstärkt von Gewalt betroffen, wobei sie nicht entsprechend ihrer Gewaltbetroffenheit unterstützt werden. Aufgrund ihrer prekären Lebenssituation ist die Situation geflüchteter Frauen besonders schwierig, sind sie von Gewalt besonders bedroht. Es ist belegt, dass es viele Hindernisse gibt, die den Zugang von Migrantinnen zum Rechts- und Hilfesystem behindern. Die konkreten Lebensumstände der Frauen, die mit einer Migrationsgeschichte und der damit verbundenen Diskriminierung, Abwertung und fehlender Wahrnehmung zu tun haben, werden zu wenig beachtet: Sprachkenntnisse, Bildungsstand, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Aufenthaltsstatus, Kenntnisse über Arbeitsweisen, Verfahren und Logiken von Behörden, Gerichten und Hilfesysteme sowie die Auswirkungen von Rassismus- oder Diskriminierungserfahrung oder negative Vorerfahrungen mit Behörden – auch im Herkunftsland. Dazu kann - möglicherweise auch unabhängig davon, wie lange die Herkunftsfamilie in Deutschland lebt - auch die Verbundenheit mit geschlechtsbezogenen kulturellen Vorstellungen und Praktiken gehören, die ihre jeweils eigene Formen geschlechtsspezifischer Gewalt hervorbringen. Wenn die Familie eine besondere Bedeutung hat und eine wichtige Ressource im Migrationsprozess ist, kann sich dies bei Gewalt umkehren. Migrantinnen haben nicht selten ein größeres „Arbeitspaket“ an Behördengängen und Regelungen zu bewältigen, dies wird verschärft, wenn Mittel für Rechtsbeistand fehlen. Diese spezifischen Belange müssen erkannt und Grundlagen allen Schutzmaßnahmen sein.
Mit der repräsentativen Studie (2004) des Bundes liegen Daten zur besonderen Gewaltbetroffenheit von zugewanderten Frauen z.B. aus der Türkei oder den Staaten der ehemaligen Sowjetunion vor. Der Bericht über die Lage weiblicher Flüchtlinge und Asylsuchender in der EU zeigt die vielfachen geschlechtsspezifischen Fluchtursachen und besonderen Risiken für alleinfliehende Frauen und Kinder auf. Die Studie SNaP beschreibt aufgrund von Informationsdefiziten, Abhängigkeiten vom Täter sowie schwierigen Lebenslagen massive Hürden, sich ans Rechtssystem zu wenden. Die Studie „Study on female refugees, eine repräsentative Untersuchung von geflüchteten Frauen in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland“ zeigt u.a. besondere Versorgungsbedarfe für Schwangere und Frauen mit Neugeborenen.
Die Istanbul-Konvention – das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (IK) befasst sich in einem eigenen Kapitel mit Migration und Asyl. In der aktuellen Diskussion geht es vor allem darum, dem Erfordernis „alle Frauen schützen“ zu entsprechen. Mit ihrem Vorbehalt gegen Artikel 59 hat die Bundesregierung nach Meinung z.B. des Deutschen Instituts für Menschenrechte Frauen ohne eigenen sicheren Aufenthaltstitel vom umfassenden Schutz ausgeschlossen In Bremen setzen sich die Regierungsparteien für eine Aufhebung des Vorbehalts ein. Für die Bereiche Prävention, Hilfe und Unterstützung sowie Strafverfolgung steht eine Überprüfung der erforderlichen Beachtung der Bedarfe der Frauen und ihrer Kinder und des Ineinandergreifens aller Maßnahmen an.
Definitionen und Kriterien für die Umsetzung
Die Istanbul-Konvention gibt verbindliche Definitionen sowie grundlegende Kriterien für die Umsetzung vor. Diese gelten für alle Gewaltformen.
Geschlechtsbezogene Gewalt
Der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ wird als eine „Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung von Frauen verstanden. Er bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können. Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürliche Freiheitsentziehung, im öffentlichen oder privaten Leben gehören dazu.
Geschlecht
Unter „Geschlecht“ werden „die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht“ verstanden. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist so verstanden Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft. Diese Form von Gewalt ist tief in den Strukturen, Normen und sozialen sowie kulturellen Werten verwurzelt, welche die Gesellschaft prägen, und wird häufig von einer Kultur des Leugnens und des Schweigens aufrechterhalten.
Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung
Mit der Normierung von geschlechtsbezogener Gewalt als eine Form von Diskriminierung wird der Staat verpflichtet, Frauen vor Verletzungen durch Dritte zu schützen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie ihre Rechte tatsächlich wahrnehmen können. Diese Einstufung spiegelt sich in einem umfassenden Maßnahmenkatalog der IK wider.
Die Verfolgung und Bestrafung von Taten gehören ebenso dazu wie Prävention, Aufklärung, Entschädigung, Forschung und Datenerhebung, die insgesamt darauf ausgerichtet sind, Diskriminierung entgegenzuwirken. Die IK erfordert dem folgend eine diskriminierungsfreie Umsetzung, staatliches Handeln unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Herkunft, Gesundheitszustand, Behinderung, Flüchtlingsstatus. Grundlage aller Aktivitäten muss eine geschlechtsbewusste Herangehensweise sein (Artikel 18).
Hilfesystem aus einem Guss: gezieltes und koordiniertes Vorgehen
Die IK erfordert ein rechtebasiertes, gezieltes und koordiniertes Vorgehen, eine Gesamtstrategie (Artikel 10). Maßnahmen sollen insgesamt ineinandergreifen, alle Akteure an einem Strang ziehen. Dafür brauchen sie verabredete Strukturen und Verantwortlichkeiten sowie eine durchgehende und ausreichende Finanzierung (Artikel 7,8). Dies bedeutet eine Abkehr von projektförmigen Maßnahmen hin zu langfristig angelegten Initiativen.
Die Schutz- und Beratungsangebote müssen sich nach Istanbul-Konvention zuvorderst an den Bedürfnissen und der Sicherheit der Opfer von geschlechtsbezogener Gewalt orientieren.
Für Schutz- und Hilfsmaßnahmen sind geeignete Mechanismen für eine wirksame Zusammenarbeit zwischen allen einschlägigen staatlichen Stellen, der Justiz, Staatsanwaltschaft, Polizei, lokalen und regionalen Behörden, NGOs und sonstigen einschlägigen Organisationen zu verabreden (Artikel 18). Besonderes Augenmerk legt die IK auf ein koordiniertes Vorgehen bei Hochrisikofällen.
Bei allen Aktivitäten sind Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft in einem partizipatorischen Prozess systematisch zu beteiligen (Artikel 9).
Datensammlung, Forschung (Artikel 11): Die IK verpflichtet zu Monitoring und Evaluation von Maßnahmen und damit zur Erhebung statistischer Daten und Forschung. Es gibt auf Bundes- und Länderebene eine Vielfalt an Daten, allerdings sind sie nicht aufeinander bezogen. Es fehlt bislang auf Bundes- wie auf Landesebene ein Gesamtkonzept zur Datensammlung und Auswertung.
Situation im Land Bremen
Es gibt im Land Bremen ein historisch gewachsenes, sehr ausdifferenziertes Unterstützungs- und Hilfesystem mit vielen Zuständigen in den unterschiedlichen Ressorts. Oftmals fehlen personelle Ressourcen bei öffentlichen wie nichtöffentlichen Trägern vor allem für das Zusammenwirken und Weiterentwickeln der Arbeit. Finanzknappheit und die Notwendigkeit der ständigen Sicherung der Angebote durch die Träger erschweren die konkrete Arbeit, auch ein koordiniertes und verbindliches Zusammenwirken aller jenseits der Eigeninteressen. Zusätzlich zum daraus entstehenden „Flickenteppich“ des Hilfesystems fehlt bislang eine mandatierte Gesamtsteuerung mit geklärten Befugnissen, die für ein ineinandergreifendes Hilfesystem wie es die IK verlangt, notwendig ist.
Aufgaben Bremen
In der Mitteilung des Senats vom 19. Mai 2020 „Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istan- bul-Konvention“ heißt es: „Alle betroffenen Ressorts sind der Auffassung, dass für die Erstellung eines Landesaktionsplans, der die umfassendere Zielstellung der Konvention in den Blick nimmt, eine Stelle erforderlich und auch nach dessen Erstellung für die ressortübergreifende Zusammenarbeit eine vernetzende Tätigkeit wünschenswert ist. ...Die Einzelheiten der zukünftigen ressortvernetzenden Tätigkeit der Stelle werden im Rahmen der Erarbeitung des Landesaktionsplans definiert, gleichfalls, ob diese Stelle im formellen Sinne, die in Artikel 10 der Istanbul-Konvention beschriebenen Aufgaben und Kompetenzen zugeschrieben be- kommt.“ (Drucksache 20/396).
Auftaktveranstaltung am 23.11.2020
Am 23.11.2021 fand die Auftaktveranstaltung zur Umsetzung der Istanbul Konvention in Bremen per Videokonferenz statt.
Neben den Grußworten der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz Frau Claudia Bernhard und der Landesfrauenbeauftragten Frau Bettina Wilhelm hielt die bekannte Expertin Frau Prof. Schröttle einen Fachvortrag. Sie berichtete über die Entwicklungsschritte der Konvention, über die europäischen Erfahrungen mit der Umsetzung und gab Orientierung über die notwendigen Schritte bei der Erarbeitung eines Landesaktionsplan. Über 150 interessierte Bremer:innen beteiligten sich an der Veranstaltung mit diversen Fragen und Diskussionsbeiträgen aber auch Forderungen an die Politik in Bremen.
Am Ende wurde das Publikum aufgefordert sich aktiv an der Erarbeitung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der Bremer Gesamtstrategie „Gewalt gegen Frauen und Kinder“ zu beteiligen. Es wurden zehn interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppen zu prioritären Gewaltformen zu konstituiert, die den Auftrag haben, im Verlaufe des Jahres 2021 den Ist-Zustand, die Ziele und Maßnahmen des Bremer Aktionsplans zur Verbesserung des Hilfesystems zu identifizieren.
Bremen setzt klare Zeichen gegen Gewalt an Frauen. Wir wollen umfassenden Schutz, umfassende Prävention und umfassende Hilfestellungen ermöglichen. Die ganzheitliche Bekämpfung von Gewalt – auch auf struktureller Ebene, ist unsere Strategie. Deswegen wollen wir die Bestimmungen der Istanbul Konvention erfüllen und haben uns auf den Weg gemacht. Für uns ist das eingebettet in eine gesamtgesellschaftliche Gleichberechtigungsstrategie, die eine umfassende Abkehr von Diskriminierung in allen Lebens- und Arbeitsbereichen bedeuten soll. Wir sind überzeugt: Nur kann es gelingen, Frauen ein selbstständiges und unabhängiges Leben zu ermöglichen.
Die Umsetzung der Istanbul Konvention – der Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt des Europarats – hat in Bremen hohe Priorität.
Auch unser Bundesland ist an den Völkerrechtsvertrag, der in Deutschland am 1. Februar 2018 rechtlich verbindend in Kraft getreten ist, gebunden. Und das aus gutem Grund: Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie ist Ausdruck eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses und führt dazu, die strukturelle Ungleichheit der Geschlechter fortzuschreiben. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat Deutschland anerkannt, dass Gewalt an Frauen und Mädchen auch in Deutschland ein tiefgreifendes Problem ist, dem mit umfassenden Maßnahmen zur Prävention, Intervention, Schutz und Sanktionen begegnet werden muss.
Eine Vielzahl von Verpflichtungen sind auf Bundes- wie auch auf Länderebene bereits umgesetzt worden. So etwa das Gewaltschutzgesetz, die Reform des Sexualstrafrechts und die Änderung der Stalking-Paragraphen. Auch die Polizeigesetze wurden für den Bereich geschlechtsspezifische Gewalt geändert.
Die zwölf Kapitel der Konvention umfassen Anforderungen und Festlegungen wie
- Umfassende Präventionsinstrumente,
- Umfangreiche Maßnahmen zum Opferschutz und zur Opfer-Unterstützung,
- Festlegung für eine effektive Strafverfolgung und Schutz im Zivilrechtsverfahren
- Und sie widmet sich ausdrücklich der genderbezogenen Gewalt betroffener geflüchteter Frauen und trifft Regeln zu Asyl und Migration.
Historisch betrachtet folgt die Konvention der Anerkennung der Menschenrechte in der Charta der Vereinten Nationen von 1948, der Verabschiedung der UN- Frauenrechtkonvention CEDAW von 1981, sowie inhaltlich den Zielen der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995, die eine Erklärung und Aktionsplattform für Gleichberechtigung vorgab und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen als unteilbar deklarierte. Europäisch flankiert wurde die IK durch Verabschiedung den EU-Opferschutzrichtlinien von 2012, die verbindlich in der EU gilt. Diese Istanbul-Konvention ist inhaltlich ein Instrument zur Umsetzung der Menschenrechte in diesem Fall hauptsächlich für Europa.
In Bremen erarbeiten wir derzeit einen Landesaktionsplan, der die Vorgaben der Istanbul Konvention, Beschlüsse der Bremischen Bürgerschaft und des Koalitionsvertrages aufnehmen wird. In dem Erarbeitungsprozess wird sichergestellt, dass der Austausch zwischen den beteiligten Behörden, Einrichtungen und Organisationen sowie zwischen den beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven gewährleistet wird.
Die Gesamtsteuerung verantworten die Stabsstelle Frauenpolitik der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz in Zusammenarbeit mit der "Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau" (ZGF). Dazu wurde eine geschaffene Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Land Bremen geschaffen.
Unser Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention wird aufzeigen, welche weiteren Maßnahmen in Bremen ergriffen werden müssen um unser Schutz und Hilfesystem bzw. um das Recht von betroffenen Frauen auf niederschwellige, spezialisierte und barrierefreie Unterstützung noch besser umzusetzen.
Einen Schwerpunkt bildet der bessere Schutz für bestimmte besonders bedürftige Frauen: Frauen die Mehrfachdiskriminierung, wie Frauen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, zugewanderte Frauen oder Frauen ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Eine andere wichtige Aufgabe wird sein, dass Bremer Hilfesystem noch zielgerichteter zu koordinieren, die Akteure noch besser miteinander zu vernetzen, also die Verbesserung zwischen den verschiedenen Angeboten.
Es ist geplant im November 2021 den Bremer Aktionsplanes „Istanbul-Konvention umsetzen – Frauen und Kinder vor Gewalt schützen“ einer breiten Bremer Öffentlichkeit vorzustellen.
Sehr geehrte Frau Senatorin Bernhard, sehr geehrte Frau Dr. Schröttle, liebe Zuschauende,
ich freue mich wirklich sehr, mit Ihnen heute den Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul Konvention für Bremen konkret zu starten – „Was lange währt, wird nun wahr!“ – Für mich ist die Erstellung des LAP für Bremen von Beginn meiner Amtszeit als Landesfrauenbeauftragte vor drei Jahren eines der drei Top-Ziele meiner Arbeit. Die ZGF hingegen beschäftigt sich jedoch schon viel länger damit. Die ZGF hat für einen LAP geworben – und das nicht erst seit 2018. Doch es war auch klar, dass ein LAP mit Beteiligung der Zivilgesellschaft nicht ohne Ressourcen erstellt werden kann und so bin ich sehr froh, dass die Landespolitik die Erstellung dieses Landesaktionsplans durch einen Bürgerschaftsbeschluss konkret beauftragt und damit priorisiert hat und auch die notwendigen Ressourcen für eine Koordinierungsstelle zur Verfügung gestellt hat. Ein Auftrag den wir mit dem Frauenressort und mit Ihnen Frau Senatorin Bernhard an der Spitze, gemeinsam bearbeiten. Eine doppelte Federführung ist kein übliches Vorgehen, belegt aber die besondere Bedeutung des Vorhabens.
Doch wir die ZGF haben dieses Schwerpunkt nicht gesetzt, weil das Land durch die Ratifizierung verpflichtet wurde, einen solchen Aktionsplan zu erstellen, sondern weil wir aufgrund der jahrzehntelangen fachlichen Arbeit am Thema, zutiefst davon überzeugt sind, dass Bremen eine Gesamtstrategie braucht, um die Arbeit gegen Gewalt an Frauen und Mädchen noch effektiver und noch effizienter zu machen. Eine Gesamtstrategie, die ressortübergreifend und mit den wichtigsten Akteur:innen der Zivilgesellschaft gemeinsam erstellt wird.
Bei diesem Landesaktionsplan wird also die geballte Kompetenz der beiden Städte Bremen und Bremerhaven – Ihre Kompetenz sehr geehrte Zuschauende - zusammengeführt.
Das Land Bremen steht mit dem Schutz- und Hilfesystem in vielen Bereichen ganz gut da – ist manchmal sogar bundesweit Vorreiterin gewesen – und dass das so ist, ist der Verdienst von Ihnen allen, die sie heute hier versammelt sind. Der Verdienst von Menschen, die sich dem Thema schon sehr früh und sehr professionell angenommen haben. Aber Sie sind heute auch da, weil wir uns mit dem bisher erreichten nicht zufriedengeben wollen. Sie sind heute auch da, weil wir gemeinsam einen Prozess starten, indem die guten Maßnahmen, die es schon gibt, noch besser ineinandergreifen sollen, indem Lücken im Hilfesystem identifiziert werden, indem Schnittstellen zwischen Verantwortlichkeiten verbessert werden, indem besondere Gewaltformen und besonders schützenswerte Gruppen, besonders fokussiert werden.
Um diese Themenstellung aus den verschiedenen Fachlichkeiten heraus bearbeiten zu können, braucht es vor allem eins:
eine gute Zusammenarbeit untereinander. Denn schließlich ist eine Gesamtstrategie nur so gut, wie die Personen, die sie umsetzen. Deshalb geht es bei diesem Vorhaben auch um die Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit. Um Vernetzung von Verwaltung, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und den Fachkräften aus dem Hilfesystem, um nur einige zu nennen. Es geht um eine Vernetzung von Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen, die ihre unterschiedliche Fachlichkeit, aber auch ihren unterschiedlichen Blick auf die Themenstellung einbringen und idealerweise auch wertschätzen. Es geht um ein besseres Kennenlernen untereinander, eine Verbesserung der Zusammenarbeit und letztendlich geht es um gegenseitiges Vertrauen – Vertrauen in die Fachlichkeit der anderen Institutionen und um Vertrauen in Personen.
Wenn Ihnen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe gelingt, die über den Prozess hinausträgt, dann bin ich sicher, dass wir für die von gewaltbetroffenen Mädchen und Frauen viel erreichen werden.
Ich freue mich aber auch sehr, dass wir zu dieser Auftaktveranstaltung Sie Frau Dr. Schröttle gewinnen konnten. Ihre Ergebnisse in den Studien des Bundesministeriums zeigen, wie allgegenwärtig und wie vielfältig Gewalt an Frauen und Kinder auch in Deutschland und auch im 21. Jahrhundert vorkommt.
Wir alle kennen die Zahlen: jede 3. Frau wird Opfer häuslicher Gewalt, jede 4. Frau wird Opfer sexueller Gewalt, alle 3 Minuten wird eine Frau vergewaltigt, alle 5 Minuten erfährt eine Frau häusliche Gewalt, alle 10 Minuten stirbt ein Mädchen weltweit gesehen an den Folgen von Gewalt.
Und dennoch ist das Thema häufig noch mit Hilflosigkeit, Wegschauen, Abwehr und Scham behaftet. Im Freundeskreis, bei der Arbeit, innerhalb der Familie, in der Nachbarschaft: wir allen kennen Frauen und Mädchen auch aus unsere privaten Bereichen, denen Gewalt zugefügt wurde oder die davon bedroht sind. Und gerade Sie, die Fachkräfte, wissen auch, dass Gewalt gegen Frauen keine Privatsache ist, sondern eine strukturelle Dimension hat. Ziel ist auch, dieses Wegschauen, diese Hilflosigkeit aufzubrechen, aber auch diese verschämte Verlagerung ins Private aufzubrechen, dafür schreiben wir den Landesaktionsplan. Gewalt gegen Frauen und Kinder betrifft uns alle, weil es ein strukturelles Problem ist, ein geschlechterrelevantes Problem ist, ein Problem, das alle Schichten, alle Kulturen, alle Altersstufen umfasst, das unser Wertesystem und unsere Demokratie angreift. Häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution oder andere Gewaltformen treffen Frauen nicht, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren, weil sie das Falsche anhatten oder weil sie sich den falschen Mann ausgesucht haben. Es trifft sie, weil sie Frauen sind.
Weil ihnen aufgrund ihres Frau-Seins bestimmte Werte, Charaktereigenschaften und Pflichten zugeschrieben werden, die es angeblich rechtfertigen, bei Nichterfüllung Gewalt zu erfahren. Wir alle wissen, auch Männer erfahren Gewalt, aber diese unterscheidet sich von der, die Frauen erfahren in der Häufigkeit, in der Schwere und in der Form und auch in den Gründen.
Gewalt gegen Frauen betrifft alle Schichten, alle Kulturen und alle Frauen, ob jung, ob alt, wohlhabend, ob hetero oder trans. Aber es betrifft sie nicht in gleicher Häufigkeit, einige Frauen erfahren aufgrund ihrer Lebenssituation oder ihrer Herkunft, ihrer Biografie oder zum Beispiel einer Behinderung mehr Gewalt als andere Frauen oder auch eine andere Art von Gewalt. Deshalb haben wir bestimmte Frauen besonders in den Fokus genommen und u.a. eine Arbeitsgruppe gegründet für Frauen mit besonderem Schutzbedarf. Hier sollen all die Frauen nicht hinunterfallen, für die ansonsten nie genug Zeit, Kraft und Geld da ist.
Doch von welcher Gewalt sprechen wir? Wo beginnt sie? Wie unschuldig muss das sogenannte Opfer sein, um sich Hilfe suchen zu dürfen? Im Themenbereich der Gewalt gibt es mehr Grau- als Schwarz- und Weißstufen. Es gibt neben der körperlichen auch psychische, ökonomische, subtile, passive Gewalt. Gewalt, die anfangs vielleicht noch leicht beginnt, im schlimmsten Fall aber im Femizid endet und Gewalt, die sehr schwer greifbar und beschreibbar ist oder die vielleicht auch mit Gegengewalt beantwortet wird. Vielleicht fällt es auch einigen Frauen so schwer, sich Hilfe zu suchen, weil sie sich in diesem Grau bewegen und ihnen deshalb Klarheit fehlt. Weil sie vielleicht Angst haben, ihnen wird eine Mitschuld vorgeworfen oder weil sie sich mitschuldig fühlen. Dass es nicht um Schwarz und Weiß geht und das jede und jeder Hilfe erhalten sollte, unhinterfragt, das werden wir in diesem Aktionsplan darstellen, genauso wie die vielen Facetten der Gewalt, die auch neue Formen annehmen können, wie die der Digitalen Gewalt, die uns zunehmend immer mehr beschäftigt.
Die ZGF bezieht zu diesen Themen seit vielen Jahren Position, weist auf Defizite und Hintergründe hin. Aber die ZGF redet nicht nur, wir haben in der Vergangenheit auch Fachtage organisiert, Forderungen konkretisiert, regelmäßig an die Bürgerschaft berichtet und Empfehlungen ausgesprochen. Die ZGF hat Öffentlichkeitskampagnen durchgeführt, Flyer und eine separate Homepage veröffentlicht und konkrete Vereinbarungen erreicht.
Und nicht nur die ZGF, sondern Sie alle, die heute zuschauen und mitdiskutieren und die im kommenden Jahr am Aktionsplan mitarbeiten werden, haben viel gekämpft, viel erreicht, viel bewirkt. Bremen steht im Bundesvergleich an sehr vielen Stellen im Gewaltbereich besser da als andere Bundesländer, war oft sogar Vorreiter für Modellprojekte, ging den „Bremer Weg“. Dennoch gibt es auch in Bremen viele Baustellen, viel zu tun und viele Lücken.
Was aber bislang vor allem fehlte, war eine Gesamtstrategie. Mit dem Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul Konvention werden wir jetzt genau diese erhalten. Eine Gesamtstrategie, die auf einer guten Übersicht des Bestehenden aufbaut, die klar benennt, was wir erreichen wollen und konkrete und messbare Schritte aufzeigt wie wir es erreichen können, eine gewaltfreiere, gleichberechtigtere und demokratischere Gesellschaft zu erhalten. Dieses Ziel sollten wir nicht aus den Augen verlieren.
Gewalt an Frauen und Kindern ist keine Privatsache, sondern greift unsere Demokratie in ihren Grundfesten - in ihrem Wertesystem an. Menschen, die Gewalt erfahren, werden in ihrer Würde angegriffen und diese Würde zu schützen ist die erste und oberste Pflicht des Staates und seiner Organe. Der Schutz jeder einzelnen Frau, jedes Kindes, jedes Menschen ist verankert in unserer Landesverfassung, im Grundgesetz und in der Anerkennung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Gewalt an Frauen und Kindern zu verhindern ist deshalb ein Gebot der Menschenwürde, nicht mehr und nicht weniger.
Und die Istanbul Konvention, auf die sich unser Aktionsplan bezieht, greift diese Gesetze auf, konkretisiert die einzelnen Bereiche der verschiedenen Formen der Gewalt und ist ebenfalls eine Vereinbarung, die wir uns als Gesellschaft gegeben haben. Deutschland hat die Istanbul Konvention ratifiziert und dementsprechend müssen und wollen wir sie auch anwenden und umsetzen. Bremen wird heute damit beginnen.
Ich wünsche Ihnen allen bei diesem wichtigen Vorhaben viel Erfolg und ein gutes Gelingen und bin sehr gespannt auf die Ergebnisse.
Bitte lassen Sie mich an dieser Stelle auch meinen persönlichen Dank aussprechen und ich kann Ihnen versichern, das sind keine Vorschusslorbeeren, sondern ich bedanken mich bei Ihnen allen für die bereits geleistete Arbeit, auf die dieser Landesaktionsplan aufsetzen wird.
Danken möchte ich aber auch den beiden Koordinatorinnen Frau Kehrbach vom Frauenressort und Frau Ladewig-Makosch von der ZGF für die Vorbereitung und natürlich Frau Reimann, die beide Bereiche erfolgreich zusammenführt. Und ganz besonders danken möchte ich aber auch Ihnen Frau Senatorin Bernhard für ihr stets offenes Ohr und allen Politiker:innen, die sich heute Zeit genommen haben. Bitte bleiben Sie dem Thema gewogen und unterstützen Sie uns dabei, die Ergebnisse des Landesaktionsplans konkret umzusetzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und gutes Gelingen uns allen!