Die Istanbul-Konvention
Allgemeine Informationen zur Istanbul-Konvention
Jede dritte Frau in Europa hat seit dem 15. Lebensjahr mindestens einmal Gewalt erlebt, knapp ein Viertel ist mindestens einmal im Leben von Gewalt durch den Partner betroffen.
Der Europarat hat deshalb 2011 einen völkerrechtlichen Vertrag zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt beschlossen, der von 46 Mitgliedsstaaten in Istanbul – daher auch die umgangssprachliche Bezeichnung als Istanbul-Konvention – unterzeichnet wurde.
Insgesamt 39 Länder haben diesen Vertrag inzwischen ratifiziert. Sie sind damit zur Umsetzung verpflichtet.
Die Istanbul-Konvention ist das erste rechtsverbindliche regionale Instrument, das sich mit verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen befasst.
Ihr Ziel ist es „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen."
Die Istanbul-Konvention benennt Gewalt gegen Frauen als eine Menschenrechtsverletzung und beinhaltet wichtige Maßnahmen, unter anderem in den Bereichen Gewaltprävention, Schutz und Unterstützung von Betroffenen und Strafverfolgung bei geschlechtsspezifischer Gewalt.
Definitionen und Kriterien für die Umsetzung
Die Istanbul-Konvention gibt verbindliche Definitionen sowie grundlegende Kriterien für die Umsetzung vor. Diese gelten für alle Gewaltformen.
Geschlechtsbezogene Gewalt: Der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ wird als eine „Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung von Frauen verstanden. Er bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können. Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürliche Freiheitsentziehung, im öffentlichen oder privaten Leben gehören dazu.
Geschlecht: Unter „Geschlecht“ werden „die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht“ verstanden. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist so verstanden Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft. Diese Form von Gewalt ist tief in den Strukturen, Normen und sozialen sowie kulturellen Werten verwurzelt, welche die Gesellschaft prägen, und wird häufig von einer Kultur des Leugnens und des Schweigens aufrechterhalten.
Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung: Mit der Normierung von geschlechtsbezogener Gewalt als eine Form von Diskriminierung wird der Staat verpflichtet, Frauen vor Verletzungen durch Dritte zu schützen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie ihre Rechte tatsächlich wahrnehmen können. Diese Einstufung spiegelt sich in einem umfassenden Maßnahmenkatalog der IK wider.
Die Verfolgung und Bestrafung von Taten gehören ebenso dazu wie Prävention, Aufklärung, Entschädigung, Forschung und Datenerhebung, die insgesamt darauf ausgerichtet sind, Diskriminierung entgegenzuwirken. Die IK erfordert dem folgend eine diskriminierungsfreie Umsetzung, staatliches Handeln unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Herkunft, Gesundheitszustand, Behinderung, Flüchtlingsstatus. Grundlage aller Aktivitäten muss eine geschlechtsbewusste Herangehensweise sein (Artikel 18).
Die Istanbul-Konvention und deren Umsetzung
Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie ist Ausdruck eines hierarchi- schen Geschlechterverhältnisses und führt dazu, die strukturelle Ungleichheit der Geschlech- ter fortzuschreiben. Frauen die Mehrfachdiskriminierung erleben wie Frauen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen, zugewanderte Frauen oder Frauen ohne sicheren Aufenthaltsstatus haben ein erhöhtes Risiko, Gewalt zu erfahren. Die Istanbul-Konvention - das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (IK) - erkennt dies an und verankert wichtige Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor jeder Form geschlechtsbezogener Gewalt. Mädchen unter 18 Jahren sowie z.B. Transfrauen und -mädchen sind explizit einbezogen. Die Konvention schützt Kinder, die von Gewalt im Nahraum betroffen sind.
Die IK ist am 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten und verpflichtet Bund, Bundesländer und Kommunen Gewalt im Sinne der Konvention vorzubeugen, diese effektiv zu bekämpfen, die Strafverfolgung zu gewährleisten und von Gewalt Betroffene umfassend zu schützen. Sie steht in einer Reihe mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und dem Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention). Sie hat die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen und eine echte Gleichstellung zum Ziel. Auf der Grundlage des Bürgerschaftsbeschlusses „Istanbul-Konvention konsequent umsetzen“ arbeiten Fachleute aus Verwaltung, Behörden und aus dem Hilfesystem an einer konsequenten Umsetzung. Die Entwicklung eines Landesaktionsplans wird von der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz und der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichstellung der Frau (ZGF) koordiniert und gesteuert.
GREVIO Länderbericht zu Deutschland
Die Expertengruppe des Europarates für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) prüft die Arbeit der Staat Länder zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Der im September 2022 veröffentlichte Bericht für Deutschland mahnt Verbesserung in verschiedenen Bereichen an:
- Die stärkere Berücksichtigung von Betroffenen, die (mehrfach)diskriminierten Gruppen angehören, wie Frauen mit Behinderungen oder Fluchterfahrung (u.a. Artikel 4).
- Das Bereitstellen angemessener finanzieller Ressourcen für alle Strategien und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt, inklusive der Unterstützungseinrichtungen (Artikel 8).
- Die Einrichtung einer staatlichen Koordinierungsstelle mit der Aufgabe, alle Maßnahmen und Umsetzungsschritte zu koordinieren (Artikel 10).
- Der Ausbau der Unterstützung durch spezialisierte Fachberatungsstellen (Artikel 22) und Frauenhäuser (Artikel 23).
- Die Verbesserung der medizinischen (Akut)Versorgung und Spurensicherung nach sexualisierter Gewalt (Artikel 25).
- Die systematische und obligatorische Schulung von Fachkräften aller Professionen, die mit Betroffenen oder Tätern geschlechtsspezifischer Gewalt zu tun haben (Artikel 15) sowie das Bewusstsein für die Dynamik von Gewalt in Beziehungen und die Gefahr von Tötungen geschärft werden muss (Artikel 46).
- Die Gewährleistung, dass Verfahren und Entscheidungen in Fragen des Sorge- und Umgangsrechtes die Sicherheit von Frauen nicht gefährden (Artikel 31).
- Die Verkürzung der Dauer von Strafverfahren (Artikel 49 und 50).
- Verfahren der systematischen und geschlechtersensiblen Risikobewertung flächendeckend zu gewährleisten (Artikel 51).