Miteinander reden – nicht über Betroffene
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Dass der Leitsatz „Miteinander reden – nicht über Betroffene“ mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit in der Umsetzung der Istanbul-Konvention wird, war ein großes Anliegen unseres Fachtages am 24. November 2024.
Der Fachtag Istanbul-Konvention fand online als Zoom-Konferenz mit gut 100 Teilnehmenden statt und wurde im Livestream übertragen. Die Abschlussveranstaltung zum vom BMFSFJ geförderten Bremer Pilotprojekt „Optimierung des Hilfesystems für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder durch die systematische Einbeziehung der Betroffenenexpertise und –perspektive: Implementierung eines Betroffenenbeirates Istanbul-Konvention im Land Bremen“ traf auf überregionales Interesse. Wir wollten mit betroffenen Frauen* sprechen, nicht über sie – wie ist das gelungen und was halten wir nach einem guten Jahr als Fazit fest?
Die Erfahrungen mit dem Bremer Betroffenenbeirat Istanbul-Konvention und die Ergebnisse der Studie zu den Erfahrungen betroffener Frauen* im Hilfesystem haben unseren Leitsatz bestätigt: Die Perspektive von Expert:innen aus Erfahrung einzubeziehen ist ein Qualitätsmerkmal. Betroffene werden sichtbar – sie erhalten eine Stimme und bekommen ein Gewicht in politischen Entscheidungsprozessen.
Wie wir es in Bremen geschafft haben, Betroffene in die Umsetzung der Istanbul-Konvention mit einzubeziehen in der Form eines Beirates, was uns bewegt, geleitet und geholfen hat, ist im Vortrag der Landeskoordinierungsstelle Istanbul-Konvention in BLOCK I des Fachtags nachzulesen. Über ihre Motivation und inhaltlichen Schwerpunkte berichteten anschließend Mitglieder des B*BIK selbst.
In BLOCK II stellen wir die Ergebnisse der qualitativen Studie vor, die das Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen im Auftrag der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz Ende November 2022 veröffentlicht hat. Die Studie ergänzt die Einrichtung des Betroffenenbeirats im Modellprojekt des Bundesprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“.
In BLOCK III haben wir anschließend mit unseren Gästen einen Blick „über den Tellerrand“ geworfen. Denn in den Bereichen Frauen, Kindesmissbrauch, Psychiatrie, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationsbiografie sind erfolgreich Betroffene in politische Entscheidungsfindungsprozesse oder in das Hilfesystem mit eingebunden worden. Welche Strukturen hat es gebraucht und was darf für eine gelungene Einbeziehung von Menschen mit Erfahrungswissen nicht fehlen? Die Paneldiskussion hat gezeigt, dass „unser“ Leitsatz auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen erfolgreich gelebt wird, in der Formel „Nichts über uns ohne uns!“ sogar als DNA der Behindertenrechtskonvention verstanden werden kann. Gleichzeitig bestätigte das Podium, dass eine echte Teilhabe – die mit „Teilgabe“ verknüpft sein muss! – oft nicht gewollt ist und dann stark von den Rahmenbedingungen abhängt: Haben Betroffene eine administrative Struktur, die sie unterstützt, ihr Erfahrungswissen einzubringen? Werden sie für ihre Arbeit bezahlt? Gibt es eine Augenhöhe zwischen Expert:innen mit Fachwissen und Expter:innen mit Fach- und Erfahrungswissen? Was ist mit der Gefahr einer Retraumatisierung? Was kann dem Bremer Betroffenenbeirat aus Sicht der Fachleute aus anderen Bereichen geraten werden? Diese und weitere Fragen entwickelten sich in der Diskussion. Festhalten können wir: Am Ende führte die Ermöglichung von Teilhabe zu einer deutlich besseren Qualität der Unterstützungsangebote und zum Empowerment der Menschen mit Erfahrungswissen.
Es lohnt sich für alle Beteiligten Teilhabe zu ermöglichen und den Erfahrun¬gen von Betroffenen einen festen Platz in der fachlichen Debatte zu geben. Das ist das wichtigste übergreifende Ergebnis unseres Fachtages und wie wir hoffen Inspiration für viele neue Prozesse, in denen miteinander, nicht über Betroffene geredet wird!
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